Weisheit

Die Arbeit läuft dir nicht davon,
wenn Du Deinem Kind den Regenbogen zeigst.
Aber der Regenbogen wartet nicht,
bis Du mit der Arbeit fertig bist.
-chinesisches Sprichwort-
 

 
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  Wohlstand oder Armut – eine Frage des Geldes  
 
Sechs Stunden Arbeit pro Tag, nur vier Tage die Woche, dazu 90 Feiertage im Jahr und täglich vier üppige Mahlzeiten mit mehreren Gängen. Hört sich an wie ein Märchen, ist es aber nicht. Es ist ein Blick in die Vergangenheit: Europa in der Zeit des Hochmittelalters - eine andere Zeit mit einem anderen Geld.


Von ungefähr 1000 bis 1300 lebten die Menschen in Mitteleuropa zunehmend in einem beachtlichen Wohlstand, der auf alle Bevölkerungsschichten verteilt war. Gewerbe und Handel blühten, Bewässerungssysteme wurden gebaut und Land urbar gemacht. Zudem war dies die Zeit der großen Kathedralen: Über Generationen hinweg entstanden riesige, filigrane Zeugnisse menschlicher Schaffenskraft, die noch heute unzählige Touristen in ihren Bann ziehen.

Das Hochmittelalter als Blütezeit der europäischen Kultur

Erstaunlicherweise waren die meisten dieser Kathedralen einer Frau – der Jungfrau Maria – geweiht: Nôtre Dame de Paris und Nôtre Dame de Chartres beispielsweise. Überhaupt kam den Frauen damals eine wichtige gesellschaftliche Stellung zu. Viele von ihnen waren eigenständige Gewerbetreibende und Unternehmerinnen, Wächterinnen, Steuereintreiberinnen, Musikerinnen, Schriftstellerinnen, Heilkundige. Manche wirkten darüber hinaus in weltlichen und kirchlichen Führungspositionen. Zudem wurden auf Münzen – wie kaum je zuvor und selten danach – auch Frauen abgebildet, die tatsächlich gelebt haben, zum Beispiel Äbtissinnen.

Ein besonderes Geld als Voraussetzung für allgemeinen Wohlstand

Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass in dieser Zeit die Städte, die lokalen Fürsten, Äbte und Äbtissinnen das Recht hatten, eigenes Geld herauszugeben, mit dem es eine besondere Bewandtnis hatte: Alle fünf bis sechs Jahre und später auch in kürzeren Abständen wurde es verrufen, das heißt, es musste gegen neues Geld eingetauscht werden. Dabei war es üblich, drei neue gegen vier alte Münzen zu wechseln. Mit dem Gewinn wirtschaftete der jeweilige Fürst oder Abt – mehr und mehr anstelle sonstiger Steuern und Abgaben. Man nannte dieses System damals "Renovatio Monetae". Eine weit verbreitete Form der mit einem Abschlag versehenen lokalen Geldsysteme waren die so genannten "Brakteaten", sehr dünne Silbermünzen, die nur einseitig geprägt wurden. Sie dienten als lokale Tauschwährung. Gold- und massive Silbermünzen gab es damals zwar auch, sie wurden jedoch zur Hauptsache im Fernhandel und zum Kauf von Luxusgütern verwendet.

Die Brakteaten waren beim Volk zwar verständlicherweise nicht sehr beliebt. Sie hatten jedoch zur Folge, dass die Kaufkraft der Währungen in fast ganz Europa während langer Zeit sehr stabil blieb. Das heißt, es gab damals kaum Inflation, die Preise für Waren stiegen also nicht an. Zudem erhöhte sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Denn nun war kaum mehr jemand daran interessiert, diese Brakteaten als Ersparnis auf die Seite zu legen. Das lokale Geld wurde vielmehr rasch wieder ausgegeben und – auch zugunsten künftiger Generationen – in langfristige Investitionen gelenkt: in die Verbesserung des Bodens, der Verkehrswege, der Produktions- und Bewässerungsanlagen, in Wind- und Wassermühlen, in Weinpressen und in die besagten Kathedralen. Diese hatten nebst der religiösen und spirituellen Bedeutung auch eine wichtige ökonomische Funktion: Sie zogen Pilger an, die der betreffenden Stadt über viele Generationen hinweg zusätzlichen Wohlstand bescherten.

Das Verschwinden der lokalen Währungen im Mittelalter hatte zwei Gründe. Einerseits missbrauchten manche Machthaber das System dahingehend, dass sie das Geld immer rascher verriefen, um sich so persönlich bereichern zu können. Zum anderen zentralisierte sich die staatliche Macht immer stärker. Die Könige beanspruchten das Recht zur Geldschöpfung wieder für sich allein, nicht zuletzt zur Finanzierung von Kriegen, die nun Europa überzogen. Die Folgen für die Bevölkerung, die zuvor markant zugenommen hatte, waren dramatisch. Mit dem Verschwinden der Brakteaten kam es zu einem wirtschaftlichen Niedergang, zu Hungersnöten und zu einem deutlichen Bevölkerungsrückgang. Dieser beschleunigte sich zusätzlich, als fünf Jahrzehnte danach die Pest ausbrach. Auch mit der gleichberechtigten Stellung der Frau hatte es nun für viele Jahrhunderte ein Ende. Die einsetzenden Hexenverfolgungen führten zu einer nie da gewesenen Unterdrückung des Weiblichen – mit anderen Worten zu einem tatsächlichen Rückfall ins "finstere Mittelalter", das uns als solches aus der offiziellen Geschichtsschreibung bekannt ist, aber eigentlich nur für die Zeit des Spätmittelalters zutrifft.

Vom finsteren Mittelalter zum Schwarzen Freitag

Ein gutes halbes Jahrtausend später wurde es wieder finster: Der Schwarze Freitag an der New Yorker Börse markierte den Beginn der Weltwirtschaftskrise. Im gleichen Jahr, 1929, wurde in Erfurt die Wära-Tauschgesellschaft gegründet, die eine alte Idee wieder aufgriff und mit neuer Technik versah. Die so genannten „Wära-Tauschscheine“ wurden im Gegensatz zu den mittelalterlichen Brakteaten nicht verrufen, sondern mit einem monatlichen Abschlag versehen. 12 Mal im Jahr war auf die Rückseite der Scheine eine Marke zu kleben, die ein Prozent des Scheinwerts kostete. Wie im Mittelalter war deswegen jeder darauf aus, den Schein so schnell wie möglich wieder los zu werden, um nicht die nächste Monatsmarke kaufen zu müssen.

Nach zwei Jahren nutzten bereits mehr als eintausend Firmen im ganzen damaligen Deutschen Reich die Wära. Löhne und Gehälter wurden zumindest teilweise in der neuen Währung ausgezahlt. Wechselstuben für die Tauschbons gab es unter anderem in Berlin, Chemnitz, Dortmund, Eisenach, Freiburg, Köln, Leipzig und Nürnberg. Neben dem gestörten Kreislauf der Reichsmark entstand ein separater Wära-Kreislauf.

In der niederbayerischen Ortschaft Schwanenkirchen nahm der einst größte Arbeitgeber der Region, das stillgelegte Braunkohlebergwerk, mit Hilfe des "Wära-Finanzierungskonsortiums" wieder die Arbeit auf. Dort kam die lokale Wirtschaft so in Schwung, dass sich bald die Berichte über die "Wära-Insel im bayerischen Wald" häuften.

Das Geld-Wunder von Wörgl

In Österreich begann 1932 die bankrotte Stadt Wörgl, ihre Angestellten mit „Arbeitswertscheinen“ zu bezahlen, die ähnlich wie die Wära funktionierten. Auch hier mussten jeden Monat Wertmarken auf die Scheine geklebt werden und entsprechend schnell wurden die Scheine weitergegeben. Steuerschulden wurden umgehend beglichen, die Stadtkasse füllte sich wieder und so konnten dringend notwendige Arbeiten an städtischen Gebäuden und Straßen finanziert und neue Aufträge durch die Stadt vergeben werden.

Andernorts nahm die Arbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise zu, in Wörgl ging sie dank der Arbeitswertscheine um rund ein Viertel zurück. In den Nachbarstädten und -gemeinden, dem restlichen Österreich, der Schweiz, Frankreich und den USA fanden sich daraufhin viele Nachahmer. Frankreichs Ministerpräsident Eduard Daladier informierte sich sogar persönlich vor Ort. Doch durch den Erfolg wurden auch die Notenbanken hellhörig und sorgten für ein rasches Verbot der so genannten Notgelder. Nicht verboten wurde nur das schweizerische WIR-Geld, das auch heute noch vor allem von Unternehmen genutzt wird.

Anfang der 80er Jahre nahmen die ergänzenden Währungen einen neuen Anlauf. Weltweit gibt es inzwischen hunderte solcher Währungssysteme, vor allem auf regionaler Ebene – einige davon auch in Deutschland. Der „Chiemgauer“ ist das wohl bekannteste „Regiogeld“ in Deutschland. ARD-Fernsehen, Deutschlandradio, Süddeutsche Zeitung und taz berichteten bereits über das Projekt des Lehrers Christian Gelleri, das vor allem von Schülerinnen getragen wird. Koordiniert werden die Projekte in dem von Prof. Margrit Kennedy initiierten Regionetzwerk. Mit dem im Februar 2005 gestarteten „Berliner“ hat auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse schon bezahlt und damit für reichlich Schlagzeilen gesorgt, die auf die Mängel unseres Geldsystems aufmerksam machen und eine Alternative aufzeigen.

Dr. oec. Hans-Peter Studer aus Speicherschwendi (Schweiz) hat an der Universität St. Gallen Wirtschaftswissenschaften studiert und ist seit zwanzig Jahren als selbständiger Mitwelt- und Gesundheitsökonom tätig.

Jens Hakenes ist Diplom-Journalist und lebt als freier Autor, Webdesigner und Kommunikationsberater in Berlin
(http://www.image-werkstatt.de).

Der Artikel ist erstmalig in der FAIRCONOMY, Zeitschrift der INWO (http://www.INWO.de), Nr. 1 (Juni 2005) erschienen.
 
     
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